„Griechenland hatte noch nie eine positive Einstellung gegenüber dem Unternehmertum“
Die Bürgerbeauftragte*, Kalliopi Spanou, spricht aufgrund
ihrer reichen Erfahrung in den Grundsätzen des Unternehmertums über die moderne
griechische Realität und macht auf die Probleme aufmerksam, aber auch die
Möglichkeiten zur Stärkung der Unternehmen.
Kalliopi Spanou sagt u.a. aus, dass die vor etwa zehn Jahren
aufgezeigten Probleme des Unternehmertums in Verbindung mit der öffentlichen
Verwaltung bis heute fortbestehen.
INTERVIEW
Athen, 30. September 2014
ER: Wo liegen die Hauptprobleme, welchen die Unternehmer heute begegnen aufgrund ihrer
langjährigen Erfahrung in der Behandlung Tausender Bürgerfälle? Haben sich diese in
den letzten fünf Jahren der Krise verändert und in welche Richtung?
KS: Nebst der Frage der Liquidität – im Grad, der mit dem
Bankenwesen im Zusammenhang steht –, ist ein grosser Teil des Problems in den
Beziehungen zwischen den Unternehmen und dem Staat und seinen Behörden zu
finden. Die Verwaltung reagiert nicht mit der Geschwindigkeit, der Klarheit und
der Effektivität, die zur Unterstützung der Unternehmertätigkeit notwendig ist.
Erhebliche Verzögerungen, komplexe Verfahren, aber auch häufige Änderungen des
institutionellen Rahmens oder der ausgeübten Politik ändern die Voraussetzungen,
aufgrund welcher die Unternehmen tätig sein müssen.
Es ist z.B. nicht möglich, dass wegen der fehlenden Vorbereitung, Unternehmen nach vielen Jahren aufgefordert werden,
Steuererleichterungen, die als Investitionsanreiz in bestimmten
Vorzugsgegenden gewährt wurden, zurückzuerstatten, da im Nachhinein
festgestellt wurde, dass diese nicht mit den Regeln der EU übereinstimmen.
Eines der grossen Themen in der Beziehung Staat – Unternehmen sind
offensichtlich die Steuern (MWST, Gewerbesteuer, usw.) und
Versicherungsfragen (OAEE, IKA), die Voraussetzungen und Verfahren zum Erhalt
der Betriebsbewilligung, aber auch die Zahlungsverzögerungen seitens des
Staates sowie die öffentlichen Ausschreibungen und Lieferantenverträge. Ebenfalls
beschäftigen Fälle, wie die Ablehnung von Investitionsprojekten, KMU-Förderungsprogrammen oder Garantieleistungen der griechischen Regierung für
Bankkredite usw. . Viele dieser Probleme lösen sich durch das Eingreifen des „Bürgerbeauftragten“,
der einvernehmlich vermittelt, um eine schnellere und flexible Lösung zu
finden.
Der „Bürgerbeauftragte“ hat das Thema der Beziehungen
Unternehmertum – öffentliche Verwaltung bereits vor ca. zehn Jahren aufgezeigt.
Die damals und noch heute bestehenden eruierten Probleme, die wir
kennen oder – besser -, die wir lange ignorieren wollten. Wenn sich jedoch das
Wirtschaftsumfeld nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für den
öffentlichen Haushalt dramatisch verändert, werden die Bedingungen gefährlich
explosiv. An diesem Punkt sind wir heute.
ER: Was spornt das
Unternehmertum an und was stoppt es? Könnten den zuständigen Trägern vom „Bürgerbeauftragten“
in diesem Zusammenhang gesetzliche – organisatorische Vorschläge unterbreitet
werden?
KS: Der Staat trägt eine doppelte Rolle gegenüber dem Unternehmertum:
Einerseits hat er zu Gunsten der Gesamtwirtschaft für seine freie Entwicklung zu
sorgen. Andererseits hat er seitens der Unternehmer die Wahrung eines
Pflichtenrahmens zu kontrollieren, der den Schutz eines breiteren Spektrums gesellschaftlicher
Güter und der Gesellschaft, in der sie teilnehmen, gewährleistet (z.B.
Beschäftigungs- und Umweltschutz, Beitrag an den finanziellen und übrigen
Lasten mittels der Steuern und den Sozialbeiträgen). Das Gleichgewicht zwischen
diesen beiden Seiten in der Rolle des Staates muss von klaren und transparenten
Regelungen festgelegt sein, die bei allen Unternehmen gleich angewandt werden. Dies
jedoch passiert nicht in unserem Land. Im Gegenteil heben sich diese beiden
Funktionen gegenseitig auf, und dies sogar im Nachhinein.
Griechenland hatte nie eine besonders positive Einstellung
zum Unternehmertum, während gleichzeitig die Schwächen oder Nachlässigkeiten
der Verwaltung kurzfristig dem Vorteil einer bestimmten Anzahl von Unternehmen
dienten. Jedoch ist die Unterstützung und Förderung des Unternehmertums nicht
gleichbedeutend mit „Kronzeugenregelung“ oder – in Ausnahmefällen - der
Begegnung der (welchen auch immer) Unternehmen, die ihren steuerlichen und
sozialen Verpflichtungen nicht nachkommen. Leider hat dieses (absichtliche?)
Missverständnis viele Probleme und Verzerrungen in der Zeit vor der Krise angehäuft,
die sich in der Folge feierlich enthüllt haben.
Aufgrund meiner Erfahrung beim „Bürgerbeauftragten“ kann ich
betonen, dass der Gesetzesrahmen selbst anstatt durch seine Einfachheit und
Klarheit zu erleichtern, zum Verlust der Geschäftsmöglichkeiten führt, während
er Chancen für unfairen Handelsdruck eröffnet.
Wer kann zum Beispiel wissen, was sich hinter einer
einfachen – dem ersten Anschein nach – Verzögerung einer Antwort bezüglich der
Bewilligung eines Investitionsplans oder der Leistung eines Zuschusses
verbirgt?
Der „Bürgerbeauftragte“ hat entweder mit Anlass eines Falles
oder mit der allgemeinen Behandlung der ihm aufgeworfenen Fragen, gesetzliche
und organisatorische Vorschläge zur Vereinfachung der Bewilligungsverfahren zum
Ausdruck gebracht, ohne dabei den Schutz der breiteren gesellschaftlichen Güter
zu opfern. Er hat sich auch für die Kontrolle und Transparenz der
Verwaltungsentscheide eingesetzt, wenn es um die Ablehnung zur Integration an
Finanzierungs-/Investitionsprogrammen, Garantieleistungen oder inakzeptable
Verzögerungen bei der Erbringung von Investitionsanreizen ging.
Der Staat begegnet den Unternehmen – sowie auch natürlich
den Bürgern – von vornherein als Verdächtige gegen ihre Verpflichtungen ihm
gegenüber verstossend und schafft komplexe rechtliche Rahmenbedingungen und
Verfahren, um sie zu kontrollieren. Diese Praxis wird als Taktik zur Begrenzung
und Kontrolle gerechtfertigt, erweist sich jedoch als ein Hindernis für gesunde
Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihren Verpflichtungen vollständig
nachzukommen und oft unangenehme Überraschungen erleben. Dies
geschieht oft in den Beziehungen mit der Steuerverwaltung oder den Versicherungskassen,
aber auch mit den Behörden, die normalerweise die Unternehmen und Investoren
unterstützen und stärken sollten.
Auf der anderen Seite hat der Staat selbst
seit vielen Jahren Kontrollen nicht konsequent und kontinuierlich durchgeführt, ob und in
welchem Umfang die Unternehmen ihre Verpflichtungen ihm gegenüber erfüllt
haben. Die hohen fälligen Schulden, v.a. der Kleinunternehmen gegenüber den
Versicherungskassen (IKA, OAEE) und der Steuerverwaltung, sind auch aufgrund des
problematischen Verwaltungsbetriebs entstanden. Soweit ich weiss, ist z.B. ein
grosser Teil der Schulden gegenüber den Versicherungskassen in den Jahren vor
der Krise entstanden und diese Gelder wurden nicht rechtzeitig eingefordert.
Tatsächlich kamen einige Unternehmen ihren Verpflichtungen nicht nach. Warum
jedoch wurden nicht rechtzeitig Massnahmen ergriffen?
Steuern- und
Beitragshinterziehung sind seit Jahrzehnten bekannt. Für die Vergangenheit gibt es Rechtfertigungen, wir können und müssen jedoch die Art und Weise, wie der
Staat funktioniert, ändern. Bereits gibt es Initiativen in diese Richtung (vereinfachte
Verfahren zur Rechnungskontrolle durch das IKA, Verrechnung von offenen
Forderungen Staat-Private usw.), welche Resultate sich in der Praxis zeigen
werden.
ER: In der letzten
Zeit wurde viel über die Schwierigkeiten der Kleinunternehmen, ihre fälligen
Forderungen (notleidende Kredite) gegenüber den Banken zu decken, gesprochen und
die Unternehmer verlangen dringend eine Regelung. In welche Richtung könnte
ihrer Meinung nach eine machbare Lösung gehen?
KS: Der „Bürgerbeauftragte“ mischt sich nicht in die
Beziehungen der Unternehmen mit den Banken ein, ausser dass die Bank nur in
Bezug auf Schulden gegenüber dem Staat vermittelt. Jedoch, das was ich sage,
gilt in jedem Fall. Die Schuldenregelung muss mit realistischen Bedingungen
vollzogen werden. In dieser Phase macht es die Anhäufung finanzieller
Verpflichtungen sowohl den Unternehmen als auch den Privaten unmöglich, zu
reagieren. Ein einfaches Beispiel ist die Frage zur Festlegung der
Ratenzahlungen der Kredite, die nicht flexibel sind. Was nützt es, wenn die „Schuldenregelungen“
untragbar und unnachsichtig gegenüber den Schuldnern sind?
Nach mehreren Jahren der Nachlässigkeit in der Einholung der
Steuern und Sozialbeiträgen, sind wir heute, unter dem grossen finanziellen
Druck, nunmehr in der anderen Extreme. Die Logik der Mittelbeschaffung nimmt
auf keinen anderen Parameter Rücksicht.
Abgesehen davon, schulden nicht nur die Unternehmen. Gleichzeitig
schuldet ihnen der Staat teils die MWST-Rückerstattung und verzögert mit
bürokratisch komplizierten Verfahren die Bezahlung der Produktlieferungen und
Dienstleistungen, welche von den Unternehmen an ihn erbracht wurden.
Wir haben sorgfältig um die Möglichkeit der Verrechnung der
gegenseitigen Forderungen im gesamten Verwaltungsbereich gebeten, d.h.
unabhängig, ob es sich um Versicherungskassen, Gemeinden, Steuern usw.
handelte. Es scheint - zum Glück -, dass sich die Dinge in diese Richtung bewegen,
jedoch leider mit langsamem Rhythmus. Bis dies Realität wird, könnte es viele
Unternehmen nicht mehr geben und leider nicht nur diese, die seit Jahren dem
Staat Geld schulden.
Dies hat u.a. der Sonderbericht zum Unternehmertum gezeigt,
der im Jahr 2013 veröffentlicht wurde und besonders die wirtschaftliche
Dimension betraf.
Quelle: synogoros.gr
*“Der Bürgerbeauftragte“
ist eine unabhängige Verwaltungsbehörde, die als erklärten Zweck die Vermittlung
zwischen Bürgern und der Verwaltung hat, d.h. den öffentlichen Behörden, den
Organisationen der autonomen Selbstverwaltung (OTA), den juristischen Personen
öffentlichen Rechts (NPDD) und bestimmten Versorgungsunternehmen. Die
Vermittlung zielt auf den Schutz der Bürgerrechte, die Verteidigung des Bürgers
gegenüber Diskriminierungen, die Bekämpfung von Misswirtschaft und die Wahrung
der Rechtmässigkeit ab. Die Untersuchung erfolgt nach rechtzeitiger Meldung
durch den Bürger, nachdem vorab jedoch versucht wurde, die Frage mit dem
Verwaltungsträger selbst zu lösen und sofern der Versuch scheitert oder die
Lösung sich als problematisch herausstellt.
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